Liebe Leser,
warum leben auf der Erde Lebewesen, die an Bedingungen angepasst sind, die es NIE auf der Erde gegeben hat? Es gibt Lebewesen, die einem sechsmal höheren Druck standhalten, als es an der Stelle mit dem höchsten Druck gibt, dem Marianengraben in 11000m Meerestiefe (1070 bar), und gleichzeitg Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt und Vakuum ebenso überleben!
Die Rede ist von den Bärtierchen (engl. water bears), ein eigener Tierstamm (Tardigrada) mit vermutlich über 10000 Arten, die nahezu überall auf der Erde gefunden werden, in maritimen, limnischen (=Süßwasser) und terrestrischen Ökosystemen. Zum Leben an Land brauchen sie aber einen dünnen Wasserfilm (der z.B. in Moosen vorhanden ist, deshalb gelten sie auch als moosliebend (bryophil)), da sie keine Lunge haben, sondern den Sauerstoff durch einfache Diffusion über die Haut aufnehmen, sofern diese Wasser berührt.
Mehr über die erstaunlichen Überlebenskünste dieser nur ca. 0,1 bis 1mm großen Winzlinge hat schon @indextrader24 in diesem Beitrag geschrieben.
Kein Wunder, dass diese Wirbellosen mit ihrem bizarren Sexualverhalten von Wissenschaftlern aus aller Welt intensiv beforscht werden, um zu verstehen, wie sie diese enormen Strahlenbelastungen, Drücke, Temperaturextrema (von -270 bis +150 Grad Celsius!!) und das jahrzehntelange Fehlen von Wasser überleben können.
Die isrealische Mondsonde "Beresheet" aus dem Jahr 2019 hatte übrigens Bärtierchen mit dabei. Seit deren Bruchlandung gibt es sie also auch auf dem Mond und die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie es dort noch einige Zeit aushalten (allerdings nicht wach, sondern im koma-artigen Ruhezustand, Kryptobiose genannt, in dem alle Lebensfunktionen auf nahezu Null runtergefahren sind). In einer Studie konnten für >30 Jahre im Eis der Antarktis eingefrorene Bärtierchen erfolgreich rehydriert werden!
Schon 2007 unkreisten zwei Bärtierchenarten 10 Tage lang die Erde in 270km Höhe und waren dabei Vakuum und UV-Strahlung ausgesetzt. Einige der Tierchen hatten auch das überlebt!
Gemäß der Evolutionstheorie sind die Eigenschaften aller Lebewesen durch Anpassung an äußere Bedingungen entstanden. Für die Fähigkeiten der Bärtierchen trifft das aber nicht zu. Nur im Weltall gibt es so extreme Bedingungen, oder auf anderen Planeten. Daher die Frage, ob diese Achtbeiner nicht vielleicht extraterrestrischen Ursprungs sind.
Angeblich wurde ein Bärtierchen-Ei innerhalb eines vom Mars stammenden Meteoriten gefunden (Quelle), aber der Artikel war ein Aprilscherz (hier die Aufklärung), und es würde auch nicht allzuviel Sinn ergeben. Warum ausgerechnet ein irdisches Bärtierchenei, wenn bis jetzt noch niemals eine Lebensform vom Mars (vor Ort oder in Meteoriten) zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Mehr dazu hier.
Gegen die These des extraterrestrischen Urspungs der Bärtierchen spricht, dass die Bärtierchen DNA der gleichen chemischen Zusammensetzung enthalten, wie sie auch bei (und in) uns vorkommt. Natürlich gibt es auch die Theorie, dass die DNA aller Lebewesen auf der Erde selbst aus dem Weltall gekommen ist (entweder eingebracht durch Aliens (absichtlich, wie Francis Crick glaubte oder irrtümlich), oder (wesentlich wahrscheinlicher) durch Fragmente in z.B. Meteoriten), somit das Leben gar nicht auf der Erde entstand. Mehr über die Panspermie-Theorie hier.
Aber wie schaffen es die Bärtierchen, sich in Krytobiose zu versetzen und nach Jahrzehnten putzmunter daraus zu erwachen?
Einen Teil der Antwort liefert ein Blick auf das Genom der Tardigrada. Einer PNAS-Studie zufolge besteht rund ein Sechstel der DNA der Bärtierchen aus anderen Organismen, meist Bakterien. Die Forscher nennen das "DNA-Diebstahl". Damit hätten sie den größten Fremd-DNA-Anteil aller bekannten Organismen! Das würde zum Teil ihre Fähigkeiten erklären, da auch manche Bakterien extremste Lebensbedingungen aushalten, ja darin sogar gedeihen können (man nennt solche Bakterien extremophil). Kurz darauf hat eine konkurrierende Bärtierchen-Forschergruppe gänzlich andere Ergebnisse zur DNA der gleichen Spezies publiziert (Quelle), wonach weit weniger fremde Gene enthalten seien. Die viele Bakterien-DNA soll demnach durch Verunreinigung der Proben durch gemeinsam mit den Bärtierchen lebende Bakterien zustande gekommen sein.
Neben der Debatte um den Anteil der Fremd-DNA besteht auch Unklarheit, ob die Bärtierchen phylogenetisch eher zu den Gliederfüßern (Arthropoden) oder den Fadenwürmern (Nematoden) gehören!
Als Forscher untersuchten, welche Gene vor allem bei Trockenheit exprimiert wurden, stiessen sie auf Proteine, die bei Austrocknung der Zellen gelartige Filamente bilden und so das Wasser ersetzen, damit die Strukturen der Zellen erhalten bleiben und nicht beim Wasserentzug kollabieren (Quelle). Diese CAHS (cytoplasmic-abundant heat soluble)-Proteine kommen nur bei Bärtierchen vor und könnten auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Kryostase beim Menschen sein. Versuche, menschliche Zellen mit Hilfe der CAHS-Proteine zu dehydrieren, haben schon begonnen.
Ein anderes Protein, Dsup (Damage Suppressor), hilft den Bärtierchen, harte Strahlung zu überstehen. Das Protein gleicht keinem anderen, wandert nach der Entstehung in den Zellkern und schirmt dort die DNA vor Strahlung ab. Wenn menschlichen HEK Zell-Linien dieses Gen inseriert wurde, waren auch diese Zellen wesentlich strahlungsresistenter (Quelle). Früher dachte man, der Schlüssel zu Strahlungsresistenz läge in der Reparatur geschädigter DNA, doch diesem Protein gelingt es irgendwie, die Schäden in der DNA gar nicht erst auftreten zu lassen. Auch hier könnte die Bärtierchen-DNA ein wertvoller Schatz sein, falls der Mensch irgendwann einmal in den Weltraum aufbrechen sollte...
Mehr dazu:
https://www.smithsonianmag.com/smart-news/tardigrades-turn-out-not-be-dna-thieves-180964236/
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