Liebe Leser,
leider bin ich in der Mailingliste von https://futurezone.at und daher über den folgenden Beitrag gestolpert:
Da wird allen Ernstes behauptet, das Verfrachten von Paletten, gefüllt mit nassem Sand, in obere Stockwerke von Hochhäusern sei ein Beitrag, um "das Stromnetz auf klimafreundliche Weise stabil zu halten"! Denn Speicherung und kurzfistiges Abrufen von Strom ist natürlich ein Problem in einer klimawoken Gesellschaft, in der man sich vor allem auf stark schwankende Stromerzeuger wie Wind und Solar verlässt. Um das nochmal festzuhalten, wir reden hier von einem Problem, dass es ohne die "Energiewende" gar nicht geben würde!
Der Plan ist also, "überschüssigen" (sic!) Strom zu verwenden, um Gewichte hochzuschaffen (ähnlich einem Pumpspeicherkraftwerk) und bei Bedarf (robotergesteuert, versteht sich) wieder runterzufahren und dabei Strom zu gewinnen, LEST genannt (Lift Energy Storage Technology).
Startups wie Energy Vault oder Gravitricity versuchen schon mehr oder weniger lange, diese Art von "gravity batteries" in z.B. aufgelassenen Minenschächten oder hohen Lagerhallen rentabel zu machen, und verbrennen dabei das Geld ihre gutgläubigen Investoren!
Liftanlagen von Wohn- oder Geschäftshochhäusern zu benutzen wurde vorgeschlagen in diesem paper in "Energy" von Mitarbeitern des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse.
Die Skizze zur Erklärung wirkt wie die eines Unterstufen-Schulprojekts:
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0360544222010052
Arbeiten soll LEST angeblich vor allem am Wochenende, wo die Büros meist ohnehin ungenutzt sind und auf diese Weise Gänge und Großraumbüros komplett mit den 1500l-Behältern vollgestellt werden können - sofern die Maximaltragelast für eine Stockwerkdecke nicht überschritten wird!
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0360544222010052
Ich stelle mir das richtig lustig vor, wenn jemand Montag früh in sein Büro kommt und ein 1500kg schweres Behältnis gefüllt mit nassem Sand parkt den Meetingraum oder die Kaffeeküche zu.
Warum das eine Schwachsinnsidee ist?
Weil man, gerade um das Netz zu entlasten, kurzfristig Strom braucht. So ein System, selbst wenn es funktionieren würde, ist aber fern von kurzfristig (wenn erst langsame Roboter die Gewichte in Lifte befördern müssen, während Personen gleichzeitig damit fahren wollen). Wenn das "Speichern" und das rasche "Abrufen" von Strom eigentlich sinnvollerweise nur am Wochenence passieren kann, wie soll es dann zur Entlastung des Netzes zu Zeiten von Spitzenbedarf beitragen? Am Wochenende ist nie Spitzenbedarf!!
Von den Systemverlusten (Reibung, Trägheit, Steuerung) ganz zu schweigen: Wenn 70% des beim Rauffahren produzierten Stroms wieder zurückkommt, wäre das schon gut. Ein unter Vollast herunterfahrender Lift muss ja unten auch sanft abgebremst werden, das kostet ebenfalls Energie. Die Autoren geben selbst zu, dass die in Büros gern verwendeten Teppichböden die Reibungsverluste und damit die Energiebilanz beim Herumlavieren der Behälter ungünstig beeinflussen.
Ausserdem müssen die LEST-Roboter ja auch mit Energie versorgt werden und aufgeladen sein. Die Akkus der Roboterarmee führen dann wieder zu Problemen der Nachhaltigkeit (dieselbetriebene Roboter, die die Bürogänge verqualmen, verbieten sich von selbst und die Lebensdauer der E-Roboter wird von den Autoren mit nur 5 Jahren angegeben).
Und schliesslich müssen die Gewichte und die Transportroboter mit ihrer Ladeinfrastruktur auch gelagert werden. Lagerplatz ist aber auch nicht umsonst in einem Hochhaus (wird von den "Wissenschaftlern" des papers aber mit 0 angegeben!
Ach ja, der enorme Verschleiss der Liftanlagen durch die vielen Transportfahrten würde die Wartungskosten sicher auch in die Höhe treiben, auch mit keinem Wort erwähnt.
Energierückgewinnung (i.e. Rekuperation) in modernen Hochausliften ist übrigens ein alter Hut, das wird längst praktiziert, ohne dass man es bemerkt (inkl. der entsprechenden Reibungsverluste und sonstigen systemischen Limitierungen). Aber noch keiner hat daraus etwas derart Hochtrabendes fabrizieren wollen.
Wenn der Autor dann behauptet "Mit 20 Liften komme man dann im besten Fall auf ein Megawatt, was sich mit einem kleineren Windrad vergleichen lässt.", wirds endgültig grotesk, denn ein Windrad ist ja kein Energiespeicher. Für das abgerufene Megawatt mussten zuerst ca. 1,5 MW verbraucht werden, um die Lasten hinaufzuschaffen! Also was sollte dieser Vergleich??
Finanziert wurde die Arbeit unter anderem von der "National Agency of Petroleum, Natural Gas and Biofuels(ANP)" und ein "ANP Human Resources Program for the Oil and Gas, Sector Gas".
Am Ende war das alles nur Satire und keiner hat´s gemerkt?
Hochhäuser in Singapur
@stayoutoftherz
Letztlich wird die Lösung für alle echten Umweltprobleme in neuen Technologien liegen, das steht ausser Frage, Ansätze gibt es je genug dafür (Beispiel). Aber nicht überall, wo "Technologie" draufsteht, ist etwas Vernünftiges drin! Insofern ist diese unreflektierte "Hurra!"-Mentalität der futurezone-Redaktion manchmal nur schwer zu ertragen! Einmal mehr fehlt in unserer Zeit eine kritische Berichterstattung!