Liebe Leser und Architekturfreunde,
am Sonntag besuchte ich die Wotrubakirche in Wien Mauer (Bezirk Liesing), benannt nach dem österreichischen Bildhauer Fritz Wotruba (1907-1975). @solymi hatte erst kürzlich darüber geschrieben - ein Reminder für mich, sie endlich einmal selbst zu besichtigen. Was für ein krasser Gegensatz zu der erst vorige Woche besuchten barocken Annakirche!
Straßenseitige Ansicht
Das röm.-kath. Gotteshaus (das eigentlich Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit heisst, aber niemand nennt es so) thront auf dem Georgenberg am Rande des Maurerwalds im Südwesten Wiens. Im 2. Weltkrieg war an dieser Stelle eine Kaserne der Luftnachrichtentruppen mit Übungsgelände und Schießplatz (abgetragen 1949). Heute steht nur noch eine Mauer des Kasernengeländes, nichts deutet mehr ansonsten auf die kriegerische Vergangenheit.
Die Kirche besteht aus 154 unverkleideten, "zyklopenartigen" Betonblöcken, die zwischen ca. 2 und 141 Tonnen schwer sind, das Gesamtgewicht ist über 4000 Tonnen! Die Blöcke wurden scheinbar wahllos auf- und nebeneinandergeschichtet, aber insgesamt ergeben sie doch ein harmonisches Ganzes! Sie sollen "Zerrissenheit und Pluralismus" symbolisieren.
Sie entstand aufgrund der Initiative von Margarethe Ottilinger, einer 1948 nach Russland entführten Beamtin, die sich für ihre Freilassung bedanken wollte und sich damit an Fritz Wotruba gewandt hatte. Ziel Ottilingers war es, "in einem Europa, in dem der Glaube an Gott schwindet, ein Zeichen zu setzen, um die Menschen aufzurütteln und zu zeigen, dass aber trotzdem noch immer Kräfte wirksam sind, die dem Geist des Unglaubens widerstehen" (Quelle).
Der Bildhauer Wotruba wollte mit diesem ungewöhlichen Bau „etwas gestalten, das zeigt, dass Armut nicht hässlich sein muss, dass Entsagen in einer Umgebung sein kann, die trotz größter Einfachheit schön ist und auch glücklich macht“ (Quelle).
Der Baustil nennt sich treffenderweise "Brutalismus". Brutal ist eventuell die Wirkung auf den naiven Betrachter, aber das Wort kommt nicht davon sondern von béton brut (roher Beton bzw. Sichtbeton). In den 1960er bis 1980er Jahren recht beliebt, geriet dieser Stil danach etwas in Verruf und wurde unter anderem als „ästhetischer Vandalismus“ bezeichnet, auch weil Sichtbeton rasch ein mitunter verwahrlostes Aussehen annimmt, sich Algen ansetzen, etc. In den 2000er Jahren erlebte er aber eine Art Renaissance und man versucht da und dort, die Bauwerke zu erhalten und sanieren, mit mehr oder weniger großem Erfolg.
Südostseite mit Haupteingang. Licht fällt durch meist vertikal angeordnete einfache Glasscheiben.
Rückseite
Der Plan, die Kirche zu bauen, entstand schon 1964, doch regte sich ziemlicher Widerstand dagegen. Erst 1974 starteten die Bauarbeiten und am 24. Okt. 1976 wurde die Kirche geweiht.
Details der Westfassade
Der Lift, der vom Straßenniveau zur Oberkirche führt, erlaubt einen barrierefreien Zugang. Er wurde erst nachträglich (2019) eingebaut (zusammen mit einem Gemeinderaum im Untergeschoß für Veranstaltungen, Details und Fotos hier), nach jahrelangem Widerstand durch das Denkmalamt. So sehr der ursprüngliche Bau behindert worden war, so sehr sollte danach auf einmal gar nichts mehr geändert werden!
Ausblick vom Georgenberg auf Wien
In schwarz-weiss
Im Innern ebenfalls völlig ornamentloser Sichtbeton. Das Kreuz an der Altarwand stammt von Fritz Wotruba.
Adresse:
Ottillingerplatz 1, 1230 Wien
Öffnungszeiten:
Samstag 14:00 - 18:00 Uhr
Sonntag 9:00 - 16:30
Wie gefällt Euch die Kirche? Grauenvoll oder doch eher interessant?
All pics by @stayoutoftherz
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